Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren von den Linken,
ich freue mich, dass wir heute darüber sprechen, wie wir die Kommunen bei der Vergabe von Netzkonzessionen unterstützen können. Bevor ich Bundestagsabgeordneter wurde, war ich nämlich nicht nur Bürgermeister einer Gemeinde in Ostfriesland, sondern auch Geschäftsführer einer Gesellschaft, die die Energienetze rekommunalisieren sollte, als der Konzessionsvertrag nach zwölf Jahren auslief. Deshalb kann ich Ihnen sagen: Die Entscheidung für die Übernahme der Energienetze darf man sich auf keinen Fall leicht machen.
Die Sympathie der Räte für die Rekommunalisierung der Energienetze wächst. Mit der Übernahme des Netzbetriebes durch Kommunen verbinden sich viele Hoffnungen – manchmal sogar die letzte Hoffnung. Mit Ihrem Antrag springen Sie genau auf dieses Pferd. Man darf eine solch weitreichende Entscheidung aber keinesfalls übereilt treffen.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im schlimmsten Fall kommen auf die Kommune finanzielle Lasten zu, die sie jahrelang handlungsunfähig machen. Aus meinen Erfahrungen kann ich berichten, dass ein Ausschreibungsverfahren auch Vorteile haben kann: Die Gemeinde muss sich erst einmal ausführlich mit dem Netz beschäftigen
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, völlig klar! Das tut sie auch!)
und entsprechende Netzdaten erheben. Erst dann erfährt die Gemeinde, wie viele Meter Leitung auf einen Abnehmer kommen, welche Kosten für den Netzbetrieb und die Instandhaltung entstehen,
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr solltet euch mit dem Koalitionsvertrag beschäftigen!)
und natürlich auch, was bei welchem Risiko verdient werden kann. Um die Position der Kommune zu stärken, wollen wir in der Koalition dafür sorgen, dass die Altkonzessionäre ihrer Pflicht zur Datenübermittlung an die Gemeinden auch nachkommen.
(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Absolut!)
Durch mehr Transparenz fällt es den Kommunen leichter, in den Verhandlungen mit dem Netzbetreiber ein für sie positives Ergebnis zu erzielen, und das ist unser Ziel.
(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Ja, genau!)
In diesem Fall gibt es auch kein Schwarz-Weiß. Sie stellen es in Ihrem Antrag so dar, als würde immer ein großer Energiekonzern – ein Privater, wie Sie ihn nennen – gegen die kleine Gemeinde stehen. Tatsächlich gibt es aber eine ganze Reihe von Kooperationsmöglichkeiten, durch die die Gemeinde Teil einer Netzbetriebsgesellschaft wird, ihre Ziele verfolgen und zusätzlich einen größeren finanziellen Nutzen aus dem Netzbetrieb ziehen kann als vorher Das Geschäftsmodell der Rekommunalisierung besteht schließlich einzig und allein aus der Zinstransformation. Es gibt für von der Bundesnetzagentur akzeptierte Investitionen im Netz 9,05 Prozent Verzinsung. Geld auf dem Kapitalmarkt bekommt man bekanntlich wesentlich günstiger. Außerdem können die kommunalen Belange auch heute schon in den Ausschreibungen berücksichtigt werden. Die vielen neuen Stadtwerke haben sich in den letzten Jahren ja trotz der aktuellen Rechtslage gegründet.
Bei der Gewichtung von Ausschreibungskriterien sehe ich noch deutlich mehr Spielraum als bei der Inhouse-Vergabe an Eigenbetriebe. Wie schon mehrfach gesagt, haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir in diesem Bereich etwas tun werden.
Beim Bewertungsverfahren sehe ich auch einen dringenden Handlungsbedarf – gerade im Fall einer Rekommunalisierung. Egal ob die Kommune einen viel zu hohen Betrag an den Altkonzessionär zahlen muss oder ob dieser sie wegen eines vermeintlich viel zu niedrigen Betrages verklagt: Beide Fälle bedeuten für die Städte und Gemeinden ein enormes finanzielles Risiko, und von diesem Damoklesschwert wollen wir sie befreien.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie sich ganz bewusst sind, was Ihr Antrag in der Praxis bedeuten kann. Ich will hier einmal aus meinen Erfahrungen berichten: Die Rekommunalisierung zu erleichtern, kann nämlich auch bedeuten, dass man die Privatisierung der Netze erleichtert.
Um die Netze übernehmen zu können, benötigen die allermeisten Kommunen Partner, und zwar auf zwei Ebenen: Zum einen macht es Sinn, Kommunalverbünde zu gründen, um eine gewisse Mindestgröße zu haben, damit man Marktmacht hat und bei der Auftragsvergabe angemessen auftreten kann. Zum anderen benötigen die Kommunen aber auch ausreichend Eigenkapital für den Kauf und vor allen Dingen für die Finanzierung der Netze.
(Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, das ist doch gut!)
Das besorgen sich die in der Regel klammen Kommunen, indem sie sogenannte strategische Partner mit in die Netzgesellschaft aufnehmen, und das ist natürlich ein Partner aus der Privatwirtschaft.
Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Saathoff, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Krischer?
Johann Saathoff (SPD): Aber selbstverständlich, Frau Präsidentin.
(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Aber nur, wenn es etwas Schlaues ist!
Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das ist aber wahrscheinlich nichts
Gegenruf der Abg. Sylvia KottingUhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist immer was Schlaues!)
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Saathoff, ich verstehe, ehrlich gesagt, Ihren Vortrag nicht ganz.
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Er versteht es nicht!)
Johann Saathoff (SPD): Das kann ich nachvollziehen.
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie reden hier darüber, was der Rat einer Gemeinde, einer Stadt diskutieren muss, wenn der Konzessionsvertrag ausläuft. Dieser wird dann entweder verlängert, oder er wählt einen neuen Konzessionsnehmer. Dabei muss er sich all diese Fragen stellen: Habe ich das technische Know-how? Kann ich das selber machen? Habe ich das Kapital? Will ich das überhaupt? Gehe ich das Risiko ein? – Das alles ist richtig.
Das ist hier aber gar nicht unser Punkt; darum geht es hier gar nicht. Es geht allein um die Frage: Wollen Sie den Kommunen die Möglichkeit eröffnen, wie es eigentlich im Energiewirtschaftsgesetz angelegt und verankert ist, selbst frei zu entscheiden, indem Sie die rechtlichen Hürden und die Rechtsunklarheit, die 2011 durch die letzte große EnWG-Novelle hervorgerufen wurden und Übertragungen unmöglich machen, beseitigen, oder wollen Sie im Grunde genommen alles so lassen, wie es ist?
Johann Saathoff (SPD): Herr Kollege Krischer, als erste Nachfrage zu einer meiner Reden hätte ich mir schon eine etwas intelligentere Frage gewünscht.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was ist das denn?
Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben es ja gleich gesagt!)
Ich sage Ihnen auch, warum. Ich habe deutlich gemacht, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen wir Handlungsbedarf sehen, zum Beispiel bei der Frage der Bewertung der Netze: Nach welchen Verfahren bewerten wir die Netze? Wie müssen die Preise ermittelt werden? Das können Sie aus meiner Sicht durchaus bemängeln und sagen: Da besteht für die Kommunen eine Rechtsunsicherheit. Da muss Abhilfe geschaffen werden. – Das habe ich gerade vorgetragen.
Als Sie mich mit Ihrer Frage unterbrochen haben, ging es darum: Was passiert eigentlich, wenn man nicht ausreichend über das, was man vorhat, nachdenkt und die Rahmenbedingungen nicht ausreichend berücksichtigt?
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie das nicht den Kommunen überlassen?)
Ein Beispiel aus der Praxis möchte ich Ihnen gerne mitgeben, damit Sie sehen, dass es nicht automatisch richtig ist, Netze zu privatisieren.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das behaupte ich ja gar nicht! Nur die, die es wollen!)
Das kann durchaus richtig sein, aber es muss nicht automatisch richtig sein; das sage ich Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit. Wir von der SPD-Fraktion sind natürlich dafür, dass die Kommunen bei der Beantwortung der Frage: „Wollen wir die Netze selber betreiben, oder soll das eine Netzgesellschaft machen?“ freier sind als bisher.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)
Die noch bestehenden Beschränkungen wollen wir aufheben. Ich habe Ihnen von dem Bewertungsergebnis berichtet.
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das hat er nicht gehört!)
Aber auf der anderen Seite muss diese Entscheidung gut abgewogen werden, man muss schon ganz genau nachdenken. Von daher ist es richtig, Zeit zu haben, sich mit dem bisherigen Energieversorger auseinanderzusetzen und sich über die Übertragung Gedanken zu machen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)
Jetzt berichte ich über meine Erfahrungen, warum Rekommunalisierung – Herr Krischer, es wäre schön, wenn Sie dann nicht auf Ihr Handy guckten – auch eine Privatisierung bedeuten kann.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie aufhören, abzulesen!)
Um die Netze übernehmen zu können, benötigen die allermeisten Kommunen auf zwei Ebenen Partner. Zum einen sind das die Kommunalverbünde; das habe ich gerade gesagt. Zum anderen brauchen die Kommunen für die Finanzierung der Netze Eigenkapital. Das machen sie in dem Fall so, dass sie sich einen strategischen Partner besorgen. Das heißt, sie suchen sich einen Partner aus der Privatwirtschaft.
Im Fall Ostfriesland sah die Situation so aus, dass der Altkonzessionär ein Unternehmen im Besitz der Landkreise war. Durch die Rekommunalisierung wären die Netze auch in die Hände eines Privatunternehmens gelangt, wären also zu 50 Prozent in den Händen einer Kommune, aber eben auch zu 50 Prozent in den Händen eines Privatunternehmens. Damit liegt eher eine Privatisierung als eine Kommunalisierung vor. Was das für Arbeitsplätze usw. bedeutet hätte, brauche ich hier nicht vorzustellen. Es hat gutgetan, sich die Angelegenheit im Verfahren mehr als einmal durch den Kopf gehen zu lassen und mit dem privaten Versorger eine Lösung zu finden, damit das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird.
„Sacht loopen kummt van sülmst“ bedeutet, dass man mit einiger Erfahrung eher gründlicher als zügiger wird. In diesem Fall ist das auch gut so. Daher wollen wir den Kommunen durch die Vergaberegeln Gelegenheit geben, sich ausreichend Gedanken vor der endgültigen Entscheidung zu machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU
Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eher Lebensberatung als Rechtsberatung, was Sie gemacht haben!)