
Tagelang habe ich gute Argumente für eine Unterstützung Frankreichs und damit für den Militäreinsatz gehört und gelesen, aber eben auch gute Argumente dagegen. Ich will nicht alle Argumente hier nennen, sondern nur die für mich entscheidenden.
Eine Frage für mich in diesem Zusammenhang ist, welche Maßnahmen aus Solidarität zu Frankreich angemessen und angebracht sind und wann die Grenze der Solidarität überschritten ist, bzw. Solidarität missverstanden werden kann. Dabei stelle ich mir (sehr ungern) vor, ein entsprechender Anschlag wäre in Deutschland geschehen. Würden wir dann militärisch gegen Syrien vorgehen? Würden wir in diesem Falle befreundete Länder auffordern, dies mit uns gemeinsam zu tun? Ich kann mir das nicht vorstellen. In diesem Zusammenhang ist für mich noch von Bedeutung, dass Frankreich auch vor den grausamen und sinnlosen Anschlägen in Paris bereits militärisch in Syrien operiert hat, also der jetzige Einsatz Frankreichs in Syrien nicht wirklich die direkte Reaktion auf die Anschläge sein kann. Die Bevölkerung Frankreichs hat mein tiefes aufrichtiges Mitgefühl und meine Solidarität – aber gehört es nicht zu einer richtig verstandenen Solidarität dazu, seinem Partner gerade in so einer kritischen Zeit nicht nur zu folgen sondern auch einfühlsam kritisch zu begleiten und gemeinsam zu beraten, was die besten Maßnahmen sind?
Eine weitere Frage ist, ob die militärischen Mittel wirklich geeignet sind, den Terrorismus von Islamisten zu bekämpfen. Stellt der Militäreinsatz zumindest zu einem Teil sicher, dass Europa sicherer wird in Sachen Terrorismus? Ich habe da starke Zweifel. Mein Ansatz ist eher, durch gezielte Hilfe in den betroffenen Ländern, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit und vor allem und zuerst durch konsequente Vermittlung von Bildung zu einer sichereren Welt zu gelangen. Zugegeben: das werden wir nicht von heute auf morgen erreichen, aber ich denke, dass dieser Weg viel konsequenter als bisher verfolgt werden muss. Das kostet viel Geld – keine Frage, aber alles andere eben auch und dazu möglicherweise Menschenleben.
Diese Entscheidung ist zweifelsfrei, wie jede Entscheidung zu Auslandseinsätzen, eine Gewissensentscheidung. Meine Gewissensentscheidung. Wir haben das Prinzip der Parlamentsarmee. Wir Parlamentarier tragen die Verantwortung für die Einsätze – mit unserer Stimme und jeder für sich ganz persönlich. Unter Abwägung aller zur Verfügung stehenden Fakten, aller "was passiert dann – Prognosen", aller Argumente bleibt es doch die Entscheidung jedes einzelnen Parlamentariers mit seinem Lebenshintergrund, seiner Sozialisation und seinen Vorstellungen von einer guten Zukunft für die Menschen im Land.
Ich kann gut verstehen, nachvollziehen und akzeptieren, dass viele (wahrscheinlich die Mehrheit) am Freitag in Solidarität mit Frankreich dem Militäreinsatz zustimmen. Das kann die richtige Entscheidung sein. Ich will das nicht kritisieren, habe ich doch bisher allen anderen Auslandseinsätzen ebenfalls zugestimmt. Diese waren allerdings allesamt auf der Grundlage jeweils eines UN-Mandates. Das ist hier nicht der Fall.
Es kann gut sein, dass es tatsächlich ohne militärische Mittel nicht gehen wird. Dann sollte der Einsatz unseres Militärs aber auf der Grundlage eines UN-Mandates erfolgen und dessen Ziele auf einer breiteren Basis diskutiert und beschlossen werden, als im hier vorgesehenen Einsatz. Ich habe einige Kolleginnen und Kollegen sagen hören, dies sei in erster Linie ein symbolischer Einsatz für Frankreich. Das reicht mir bei aller Solidarität mit Frankreich nicht aus. Für Symbole kann ich persönlich niemanden in lebensgefährliche Einsätze schicken, für Symbole sollte niemand sterben müssen.
Ich kann nach sehr schweren Stunden der Überlegungen und Abwägungen nicht zustimmen und bitte das gleichfalls zu akzeptieren. Im Koalitionsvertrag haben wir geschrieben, dass es unsere Stärke ist, dass das Parlament über die Einsätze entscheidet – dann gehört auch zur Stärke, dass es bei Gewichtung aller Argumente auch unterschiedliche Meinungen gibt und die Mehrheit dann entscheidet.
Diese Entscheidung zu treffen ist nicht der einfachere Weg für mich, er ist der schwierigere – aber diese – meine – Entscheidung ist eine, die ich getroffen habe in dem Bewusstsein aller Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Ich versichere, sie alleine getroffen zu haben – unter Abwägung aller mir zur Verfügung stehenden Informationen und nach reiflicher Überlegung als Gewissensentscheidung. Ich mag falsch liegen, aber was richtig ist wird sich bei solchen Entscheidungen erst im Nachhinein herausstellen.
Mit nachdenklichem Gruß
Johann Saathoff, MdB