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Rede vom 29. Januar 2016 zur Weiterentwicklung des Strommarktes

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben heute die erste Lesung. Wenn ich höre, dass dies der Einstieg in die subventionierte Braunkohleindustrie sei und Hartz IV für Kraftwerke realisiert sei,

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sigmar Gabriel!)

dann frage ich mich: Wie glaubwürdig ist das? Wie ist es möglich, dass die Grünen in NRW, wo sie an der Regierung beteiligt sind, das anders sehen als die Grünen, die heute hier gesprochen haben?

(Thomas Bareiß (CDU/CSU): Genau! – Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja Quatsch!)

Und mit Blick auf die Linken frage ich mich: Wie ist das eigentlich in Brandenburg? Dort wird das auch ganz anders gesehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN)

Letzten Endes können Sie über diese Reservekraftwerke schimpfen, wie Sie wollen. Im Saldo – das müssen Sie zugeben – wird weniger CO2 emittiert, und das ist eine gute Maßnahme.

Statistisch gesehen haben wir in Deutschland weniger als zwölf Minuten Stromausfall pro Jahr. Wir verfügen also über eine enorm hohe Versorgungssicherheit, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht, die durchaus als Eckpfeiler für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands definiert werden kann.

Diesen Wettbewerbsvorteil wollen wir natürlich erhalten. In einem sich aufgrund der Energiewende schnell und radikal ändernden Marktumfeld wollen wir die Versorgungssicherheit auch für die Zukunft gewährleisten. Menschen sollen sich darauf verlassen können: Der Strom kommt immer aus der Steckdose – immer! Langfristig wollen wir für den Strommarkt Möglichkeiten schaffen, den Verbrauch an die Erzeugung anpassen zu können. Bislang folgte die Erzeugung von Strom durch den fossilen Kraftwerkspark im Wesentlichen der Verbrauchskurve. Im Zeitalter der Erneuerbaren mit einer umweltfreundlichen, aber eben auch fluktuierenden Einspeisung soll sich die Verbrauchskurve auch an der Stromproduktionskurve orientieren können.

Wir produzieren insgesamt mehr Energie, als wir in Deutschland verbrauchen, und auf dem Papier haben wir mehr Kraftwerke, als wir eigentlich brauchen; aber daraus lässt sich nicht einfach schließen, dass damit die Versorgungssicherheit automatisch gewährleistet ist. Wir bilden einen Stromverbund mit unseren europäischen Nachbarstaaten. Der Strom bewegt sich frei zwischen diesen Ländern. Zum Teil haben Kraftwerke in Deutschland Verträge mit dem Ausland, produzieren also gar nicht mehr für deutsche Kunden. Deshalb müssen wir Versorgungssicherheit europäisch denken. Das ist einer der Leitgedanken dieses Gesetzentwurfs.

Mit der heutigen ersten Lesung stehen wir zwar erst am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens, aber nicht am Anfang des Prozesses. Wir sind längst mitten im Prozess. Das Bundeswirtschaftsministerium hat im vergangenen Jahr zunächst das Grünbuch mit den ersten Überlegungen vorgestellt. Aus den Ergebnissen der Konsultationen entstand dann das Weißbuch, an das sich eine abschließende Konsultationsphase anschloss. Von einem „Blaubuch“ oder einem „Lilabuch“ ist mir nichts bekannt.

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo sind denn die Ergebnisse? Die sind aber nicht im Gesetzentwurf! Die sind alle nicht drin! Was ist mit Speichern? Was ist mit Flexibilität? Was ist mit Netzentgelten?)

Man kann also sagen, dass alle am Entscheidungsprozess Beteiligten mehrfach die Möglichkeit hatten, ihre Anregungen einzubringen.

Ergebnis des Prozesses war die Entscheidung, den Weg in Richtung Strommarkt 2.0 einzuschlagen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die notwendigen Kraftwerke auf dem Markt refinanzieren können. Die Alternative wäre gewesen, den Betreibern von Kraftwerken Geld dafür zu geben, dass sie einfach da sind und im Notfall einspringen können. Das wollen wir nicht. Am Beispiel Großbritannien sehen wir die Folgen eines solchen Kapazitätsmarktes: Es wird überwiegend Braunkohle verstromt,

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Großbritannien? Da gibt es überhaupt keine Braunkohle!)

und der Strom ist deutlich teurer als gedacht. Die gewählte Variante „Strommarkt 2.0“ ist quasi ein Flexibilitätsmarkt und aus unserer Sicht deutlich besser. Das entspricht auch den Erfahrungen, die im Ausland gemacht wurden, zum Beispiel in Texas. Der Markt soll das mit möglichst wenigen regulatorischen Eingriffen regeln. Wenn es um die Preisbildung geht, regeln wir also im Grunde, dass wir nichts regeln.

Nebenbei wollen wir mit dem Gesetz auch einen Beitrag zur Erreichung unserer Klimaziele leisten. Unter der Überschrift „Sicherheitsbereitschaft“ werden Braunkohlekraftwerke faktisch stillgelegt. Dadurch kommt es natürlich zu CO2-Einsparungen, die dazu beitragen, dass wir unsere Klimaziele erreichen können.

Außerdem wollen wir für mehr Transparenz sorgen. Im Grunde soll sich jeder Interessierte zu Hause an seinem Computer über Stromproduktion, Stromverbrauch und jede Menge andere Daten in Echtzeit informieren können, also quasi ein aktiver Verbraucher werden können.

Ein weiteres Ziel ist es, die Bilanzkreistreue der Stromvertriebe zu stärken. Im Grunde sollen die Vertriebe durch die Bilanzkreistreue die Einspeisungen und Entnahmen in und aus dem Stromkreis stets ausgleichen. Das gilt auch jetzt schon, ist aber unter anderem wegen der in zunehmendem Maße fluktuierenden Einspeisung nicht ganz einfach. Der Gesetzentwurf hebt das vorhandene Verbesserungspotenzial. Differenzen zwischen Einspeisungen und Entnahmen werden minimiert. Insbesondere soll durch höhere Strafen ein Anreiz für mehr Bilanzkreistreue geschaffen werden. Über die obligatorische Bilanzkreistreue wird bereits jetzt stark diskutiert.

Ich möchte klarstellen, dass die Bilanzkreisverantwortlichen in Extremsituationen nicht für Abweichungen haften sollen, für die sie nichts können.

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da geht es schon wieder los!)

Zum Beispiel bei dem Stromausfall im November 2006, als die Papenburger Meyer-Werft ein Kreuzfahrtschiff über die Ems in die Nordsee überführt hat und durch die Abschaltung der Hochspannungsleitung in großen Teilen Westeuropas der Strom ausfiel, mussten die ÜNBs, die Übertragungsnetzbetreiber, die Bilanzkreise nicht abrechnen. Nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs müssen sie das; denn dann ist das verpflichtend. Durch die verpflichtende Abrechnung der Bilanzkreise soll vermieden werden, dass ein Anreiz geschaffen wird, solche Extremsituationen erst herbeizuführen. Also noch einmal: Die Bilanzkreise müssen auch in Extremsituationen künftig verpflichtend abrechnet werden, aber die Bilanzkreisverantwortlichen sollen nicht für Abweichungen haften, für die sie nichts könnten.

Mit dem Strommarktgesetz, der Digitalisierung und dem EEG 2016 haben wir eine ganze Menge Aufgaben vor uns. Wir haben viel vor. Bei mir zu Hause sagt man: Gifft keen Flees, wor neet ok bunken in sitten. – Es gibt kein Fleisch ohne Knochen. Anders ausgedrückt: Nichts ist ohne Haken. Im Rahmen der parlamentarischen Debatten werden wir gemeinsam sicher die Knochen vom Fleisch trennen können. Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen diesbezüglich.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)